The Hollies: Bio-Urlaub im Lehmdorf

Im Süden Irlands gibt es ein Dorf, in dem Menschen zu hundert Prozent nachhaltig leben. Gegründet hat es ein Deutscher. Von ihm erfahren Besucher alles über Lehmöfen, Biogärten und Komposttoiletten und lernen in nur einer Urlaubswoche, wie man mit baren Händen sein Traumhaus baut.

Foto: Pia Hoffmann

Hinweise auf ein Öko-Dorf gibt es in dem kleinen Ort Enniskeane südwestlich von Cork nicht. Ein alter Mann mit Tweed-Mütze deutet auf einen überwachsenen Waldweg mit Schlaglöchern. „Den Hügel rauf bis Sie denken es geht nicht mehr, und dann immer weiter!“ Irgendwann taucht aus dem Dickicht ein verwittertes Holztor mit selbstgemaltem Schild auf: „The Hollies“. Gleich dahinter liegt eine bunte Bio-Welt aus Gemüse- und Salatbeeten, Kräuterschnecken und Blumenwiesen, über denen Bienen und Schmetterlinge kreisen.

Aus dem Gebüsch lugt ein ulkiges Erdhäuschen, aus dessen Wänden Strohhalme pieken. Auf der Anhöhe prangt ein eindrucksvoller zweistöckiger Lehmbau in fröhlichem Orange mit krummem Dach. An der altrosa Gartenmauer, die mit Torbögen und augenförmigen Fenstern verziert ist, grüßt als Relief ein lustiges Lehmgesicht. Die kunterbunte Villa gehört jedoch nicht Pipi Langstrumpf, sondern dem Deutschen Thomas Riedmüller.

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Der 55-jährige steht mit nackten Füßen im Schlamm und schichtet geschickt Lehmballen aufeinander. Um ihn herum haben sich im Halbkreis zehn Frauen und Männer aus aller Welt versammelt, die es kaum abwarten können, sich die Hände schmutzig zu machen. Sie sind Teilnehmer des Workshops „The Handsculpted House“ (Das handgeformte Haus) und wollen in nur einer Woche lernen, wie man aus Lehm ein Wohnhaus baut. Der Kurs beginnt mit der Suche nach dem optimalen Bauplatz, der richtigen Bodenbeschaffenheit und einer Einführung in die verschiedenen Techniken, Lehm mit Sand und Stroh zu mischen. Dann geht es an den Bau der Wände und das Modellieren von Fenstern und Nischen.

„Feuchten, erdig riechenden Lehm zu formen ist ein sinnliches und kreatives Erlebnis“, erklärt Thomas Riedmüller seinen Zuhörern. „Da Ihr nicht an kantige Backsteine gebunden seid, könnt Ihr Eurer Fantasie freien Lauf lassen. Geschwungene Wände, Rundbögen, organische Formen – alles ist möglich.“

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Fast 30 Zentimeter Wandhöhe schaffen die eifrigen Lehmbauer an einem Tag. Schnelligkeit gehört jedoch für den deutschen Lehmmeister nicht zu den Prioritäten. „Ein Haus aus Lehm zu bauen ist eine rhythmische, meditative und sehr entspannende Tätigkeit“, verrät er. Hinzu kommt, dass Selbstbauen in Gemeinschaft sichtlich Spaß macht und das experimentelle Matschen auch schon mal in Gelächter oder einer Lehmparty endet. Etwas ernster geht es zu, wenn der Experte über Solar-Design, Installationen, Dachgerüst oder Boden spricht. Architekturkenntnisse sind jedoch nicht erforderlich. „Ein Lehmhaus kann jeder bauen“, sagt Riedmüller. Sein ältester Sohn hat sich seine eigene Bude im Garten selbst gebaut und dafür nicht mehr als sein Taschengeld gebraucht. Als Baumaterial genügt oft schon der Erdaushub, und mit ein paar Tipps vom Fachmann bleiben auch die Kosten für Holzgerüst, Türen, Fenster, Dach und Böden im Rahmen.

Foto: Pia Hoffmann

Trotz des günstigen und einfachen Bauverfahrens sind Lehmhäuser erstaunlich stabil. „Teile der Großen Pyramiden, der Chinesischen Mauer und die älteste durchgängig bewohnte Siedlung der USA, Taos Pueblo, sind aus Lehm“, weiß der Ökobau-Profi. „In Neuseeland hat ein Lehmhaus zwei Erdbeben unbeschadet überstanden, während die umliegenden Gebäude zerstört wurden. Das liegt daran, dass Lehmwände keine Betonnähte oder Bruchstellen haben.“

Aufgrund seiner porösen Struktur weicht Lehm selbst beim irischen Dauerregen nicht auf. Die Wände isolieren so gut, dass die Häuser im Sommer kühl bleiben und im Winter kaum geheizt werden müssen. Da Lehm feuerfest ist, kann er sogar zum Bau von Öfen genutzt werden.

 

„Gäste staunen oft, wie warm und trocken es in unserem Haus ist“, erzählt der Deutsche. Das Wichtigste ist für ihn jedoch die Nachhaltigkeit. „Lehmbau trägt weder zur Abholzung der Wälder noch zur Umweltverschmutzung bei. Das Material ist ungiftig und komplett wiederverwertbar.“

Foto: Pia Hoffmann

Der Umweltgedanke war es, der den ehemaligen Nachrichtenredakteur 1997 zum Auswandern getrieben hatte. „Ich hatte die Nase voll davon, über Umweltkatastrophen zu berichten. Ich wollte aktiv etwas dagegen tun“, begründet er seine Entscheidung. Inspiriert von der Permakultur-Bewegung, die ein harmonisches Zusammenleben von Menschen, Tieren und Pflanzen anstrebt, fuhr er mit seiner Frau und drei kleinen Kindern auf die Grüne Insel. „Irland zog mich magisch an: das raue Wetter, die grüne Landschaft und das Meer“, erinnert er sich. Mit seiner Vision von einem schadstofffreien Dorf aus Naturmaterialien, in dem Menschen nachhaltig leben, stieß er bei seinen irischen Nachbarn zunächst auf Unverständnis. „Auf dem Land gab es kein ausgeprägtes Umweltbewusstsein. Lehmhäuser mit Grasdächern erinnerten die Leute an die große Hungersnot im 19. Jahrhundert.“

Foto: Pia Hoffmann

Doch der Deutsche gab nicht auf. Seit fast 20 Jahren lebt er nun schon mit seiner Familie in einer selbstgebauten Lehmvilla. Im Wohnzimmer steht ein gemütlicher Lehmkamin; in die Rauminnenwände sind Regale, Erker und Kunstwerke gearbeitet – alles frei nach Gefühl und Augenmaß. Familie Riedmüller besitzt weder Kühlschrank noch Fernseher, nutzt aber unzählige natürliche Ressourcen, um daraus Seife, Cremes, Tees, Kräutermedizin und Bio-Putzmittel herzustellen. Wie im Teletubby-Land erheben sich auf den umliegenden Wiesen weitere grasbewachsene Lehmhäuser. In „The Hollies“ leben derzeit 20 Menschen in fünf Haushalten. Zwei neue Wohnhäuser werden gerade gebaut. Gegessen wird was der gemeinschaftliche Garten hergibt. Daneben betreiben die Familien einen Lehrgarten und eine kommerzielle Anbaufläche, wo Bio-Gemüse für die Wochenmärkte in Bandon und Clonakilty wächst.

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Haupteinnahmequelle von Thomas Riedmüller ist jedoch sein Unterricht am Kinsale College, wo er Kurse in nachhaltiger Lebensweise gibt. Daheim bietet er neben den Lehmbauwochen auch Kurse in Bio-Gärtnern, Naturmedizin, Lehmofenbau und Toiletten-Kompostierung an. In diesem Sommer veranstaltet er erstmals ein Naturcamp für Familien mit Übernachtung. Das irische Öko-Dorf hat sich als „Centre for Practical Sustainability“ (Zentrum für praktische Nachhaltigkeit) auch international einen Namen gemacht. Hortikultur-Studenten, Praktikanten und freiwillige Helfer kommen aus aller Welt, um in „The Hollies“ zu lernen. Bei Schulklassen ist die nachhaltige Siedlung ein beliebtes Ausflugziel. Reisegruppen können auch individuelle Führungen buchen. Mitmachen ist dabei immer erwünscht. Denn wer mit seinen eigenen Händen einen Baum pflanzt, kompostiert oder Lehm mischt, spürt hautnah, dass die Erde weit mehr ist als feuchter Dreck.

Autorin: Pia Hoffmann

Das Original wurde zuerst im Mannheimer Morgen und auf ecowoman.de veröffentlicht

Weitere Infos und Termine gibt es unter www.thehollies.ie...

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