17.01.2020
„Wir haben es satt“ – Unter diesem Motto ruft ein breites Bündnis zu einer Demonstration am 18. Januar in Berlin auf. Diese findet seit mehreren Jahren am Beginn der Internationalen Grünen Woche statt und setzt ein Zeichen für eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft, für artgerechte Tierhaltung, Klimagerechtigkeit und gutes Essen.
Die EU fördert Agribusiness – mit schweren Folgen
Gerade in diesem Jahr haben diese Ziele besondere Aktualität. Denn die „Gemeinsame Agrarpolitik“ (GAP) der EU für die Jahre 2021 – 2028 wird neu verhandelt. Die EU fördert die Landwirtschaft Jahr für Jahr mit 60 Milliarden (!) Euro – dem größten Einzelposten im EU-Haushalt. Den überwiegenden Teil ihrer Gewinne beziehen landwirtschaftliche Unternehmen aus dieser staatlichen Unterstützung. Dabei gilt aktuell: Wer viel Land besitzt, bekommt viel Geld. Denn die Förderung richtet sich vorrangig nach der Hektarzahl der Betriebe. So bekommen große landwirtschaftliche Betriebe viel Geld, kleine Bauernhöfe hingegen wenig Geld – im krassen Gegensatz zu allen Sonntagsreden für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft !
Doch nicht nur das: Es wird öffentliches Geld nur für die Menge der Landbewirtschaftung ausgegeben, nicht aber am Nutzen für die Gesellschaft ausgerichtet. Mit entsprechenden Folgen: Höfesterben und Monokulturen, Glyphosat und Artenschwund, Megaställe und Antibiotikaresistenzen und Klimawandel.
Es geht auch anders: Zum Wohle aller, inklusive der Umwelt!
Dabei beweisen viele Menschen, dass es anders und besser geht. Immer mehr Bäuerinnen und Bauern wirtschaften ökologisch und halten ihre Tiere artgerecht. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger entscheiden sich an der Ladentheke für gutes, handwerklich erzeugtes Essen aus der Region oder unterstützen solidarisch Bauernhöfe und bilden eine Bewegung für eine weltweite Agrar- und Ernährungswende.
Die Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie setzt sich ein für eine Marktwirtschaft, die gemeinwohlorientiertes Wirtschaften honoriert. In der Landwirtschaft, die ihre Gewinne nicht am Markt, sondern zum überwiegenden Teil aus staatlicher Unterstützung bezieht, wäre es so einfach, diese Gedanken umzusetzen: Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen !
Unterstützung sogar von staatlichen Institutionen
Nicht nur der Bund Naturschutz, die Verbände der ökologischen Landwirtschaft und die anderen Unterstützer von „Wir haben es satt“ fordern eine solche Agrarpolitik, sondern selbst staatliche Institutionen wie das Umweltbundesamt (UBA) und der „Beirat für Agrarpolitik“ beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).
So fasst die UBA-Präsidentin im Vorwort des „Berichts zu Umwelt und Landwirtschaft 2018“ zusammen: „Die Konzentration auf wenige Fruchtarten, der massive Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln auf dem Feld und von Arzneimitteln im Stall oder der Gülleüberschuss in Regionen mit intensiver Tierhaltung schaden der biologischen Vielfalt, verunreinigen Grundwasser und unsere Oberflächengewässer, belasten Böden und Luft und tragen zum Klimawandel bei“. Um die Umweltauswirkungen der Landwirtschaft zu verringern, fordert die UBA-Präsidentin ein Umsteuern bei den EU-Agrarsubventionen:
„Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik muss es endlich schaffen, dass nicht mehr die Betriebe das meiste Geld bekommen, die die meisten Flächen bewirtschaften, sondern diejenigen, die am meisten für die Umwelt tun.“
Agrarlobby und Bauernverband stellen sich weiterhin quer
In ihrem ersten Entwurf zur GAP-Reform schlägt die Europäische Kommission erste zaghafte Schritte in diese Richtung vor. Sie hält zwar an dem bisher geltenden Zwei-Säulen-Modell fest. Über die Erste Säule fließen die pauschalen Flächenprämien, was etwa 73% der Förderung ausmacht, mit dem Rest werden über die Zweite Säule die Ländlichen Entwicklungsprogramme finanziert, zu denen die Agrarumweltmaßnahmen gehören. Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass es künftig wie bisher über die Erste Säule eine Basisprämie pro Hektar geben soll. Diese könnten die Landwirte für sich aufstocken, wenn sie an einer Umweltmaßnahme teilnehmen. Deren Ausgestaltung soll den Mitgliedsländern überlassen bleiben. – Unabhängig davon sollen die bisherigen Programme zur ländlichen Entwicklung in der Zweiten Säule weitergeführt werden.
Selbst diese zaghaften Änderungsvorschläge gehen der Agrarlobby und dem Bauernverband zu weit. Sie wollen, dass alles bleibt, wie es ist. – Die Umweltverbände hingegen fordern mutigere Schritte.
Konkrete Vorschläge für die Agrarwende
Sogar der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim BMEL fordert in seinem Gutachten vom April 2018 eine konsequent gemeinwohlorientierte Politik für Landwirtschaft und ländliche Räume. Mit den jetzigen pauschalen Hektarzahlungen würden weder besonders bedürftige noch besonders umweltengagierte Landwirte unterstützt. Ein Großteil des Geldes werde sowieso über die Pachtzahlungen an die Bodeneigentümer durchgereicht. Der Beirat macht konkrete Vorschläge für die Neuausrichtung der Agrarförderung und betont, dass es dafür „politisches Durchsetzungsvermögen“ brauche. – Für ein solches Durchsetzungsvermögen oder auch nur eine klaren Positionierung gibt es seitens der deutschen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner bisher nichts leider keine Anzeichen.
Umso wichtiger ist es, die kritischen Agrar- und Umweltverbände und die Aktionen unter dem Dach „Wir haben es satt“ zu unterstützen und damit Gemeinwohlorientierung in der Ernährungs- und Landwirtschaft zu fördern.
Schluss mit dem Gießkannen-Prinzip!
Harro Colshorn, Bioland-Gärtner und Gemeinwohl-Unternehmer in Bayern
Januar 2020
Den Originalartikel kann man bei unserem Medienpartner Pressenza nachlesen
Der Trägerkreis der Demo am 18.01. in Berlin – Alle weiteren Infos unter: www.wir-haben-es-satt.de
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