Brasiliens Saftfabrikanten zahlen Zulieferern Dumpingpreise für ihre Früchte. Auf den Plantagen sind auch deshalb Sklaverei ähnliche Arbeitsverhältnisse keine Seltenheit. Der Saft von Orangen ist der meist getrunkene der Welt, seine Produktion ein Milliardengeschäft. Um Marktmacht wird hier mit harten Bandagen gekämpft. Das gilt vor allem für Brasilien, wo die größten Orangen plantagen und Saftfabriken stehen. Der Bundesstaat São Paulo ist globaler Orangensaft- oder vielmehr -Konzentratexporteur ENummer eins. Denn in der Regel wird nicht der Saft exportiert, sondern das eingedampfte Konzentrat, um beim Transport per Tankschiff Kosten zu sparen. Bevor es dann in den Supermärkten als „vitaminreicher Morgentrunk“ landet, wird es mit „natürlichen“ Aromen und Trinkwasser in der Art vermischt, dass es für den deutschen Verbraucher wie „frisch gepresst“ aussieht. Die meisten Konsumenten in Europa kennen den tatsächlichen Herstellungsprozess ihres täglichen O-Safts nicht. Auch über Missstände in Fabriken, Umweltfolgen des Anbaus und unsoziale Arbeitsbedingungen auf den Plantagen dürfte die Mehrheit nichts wissen.
Die Pioniere: Fischer und Eckes
Als Orangen tatsächlich noch als ganze Frucht exportiert wurden, war Rio de Janeiro das wichtigste Anbaugebiet für diese Zitrusfrüchte in Brasilien. Doch das ist Vergangenheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dank der „Erfindung“ des Verfahrens zum „Eindicken“ des Saftes bekam das Geschäft mit ihm eine neue Dimension. Der Transport per Tankschiff verbilligte sich schlagartig, und die Haltbarkeit in gekühlten Tanks verlängerte sich um Jahre, was Orangensaftkonzentrat zu einem börsenfähigen Spekulationsobjekt wie Erdöl, Aluminium oder Rohkaffee machte.
Der Deutsche Carl Fischer roch den fetten Braten zuerst. Zusammen mit dem heute größten europäischen Fruchtsaftkonzern Eckes (u. a. Marke »Hohes C«) aus der Bundesrepublik und einem Safthersteller aus Florida gründete er 1963 am Vorabend des Militärputsches in Brasilien sein Unternehmen Citrosuco im Bundesstaat São Paulo. In den Jahren der Militärdiktatur wuchs es rasch zu einem Exportriesen. Die Fischer-Gruppe besitzt heute rund zehn Millionen Orangenbäume, die 280.000 Tonnen Konzentrat im Jahr liefern. Rund 80.000 Tonnen davon gehen nach Deutschland.
Der zweite, der im Konzentratgeschäft aufstieg, war José Cutrale, Sohn eines Einwanderers aus Sizilien. Er gründete 1967 zusammen mit seinem Vater Giuseppe in São Paulo die Firma Sucocítrico Cutrale.
Nummer drei im Bunde der Fruchtsaftgiganten ist der brasilianische Konzern Votorantim, der sein Saftunternehmen Citrovita 1989 gründete. Bis dahin verdiente das Unternehmen sein Geld mit handfesteren Produkten wie Zement und Aluminium. 2012 fusionierten Citrovita und Citrosuco der Familie Fischer zu einem Saftriesen mit eigener Tankerflotte.
Die Nummer vier ist die französische Firmengruppe Louis Dreyfus Commodities (LDC), die sich ab 1988 ins brasilianische Konzentratbusiness einkaufte. Sucocítrico Cutrale, Citrosuco (inklusive der früheren Citrovita) und Louis Dreyfus: Zusammen kontrollieren sie heute 80 Prozent des Weltmarkts von O-Saft-Konzentrat und etwa 500.000 Hektar Plantagen in der Region um die Metropole São Paulo. Und sie stehen seit langem im Verdacht der Kartellbildung, illegaler Preisabsprachen und der Ausbeutung von Plantagenarbeitern.
Im vergangenen Jahr, am 2. August 2015, besetzten 200 Mitglieder der Landlosenbewegung Movimento Sem Terra (MST) zum 15. Mal die Plantage Santo Henrique von Cutrale. Sie wollten damit zum einen gegen den Raub von 2.500 Hektar Staatsland protestieren. Darüber hinaus habe der Konzern illegal Urwald abgeholzt und respektiere nicht die Arbeitsschutzgesetze, kritisierten die Aktivisten. Vier Monate zuvor hatten MST und die Landarbeitergewerkschaft São Paulos (FERAESP) aus ähnlichen Gründen die Fazenda Paraíso von LDC besetzt. Prozesse vor den Arbeitsgerichten hatten in den vergangenen Jahren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Missstände in der brasilianischen Orangensaftbranche gelenkt.
Heuern und Feuern
Nur etwa 52.000 der rund 240.000 Beschäftigten im O-Saft-Business São Paulos sind festangestellt. Viele werden im Nordosten mit falschen Versprechungen angeheuert. Meist finden sie sich dann in einem Sklaverei ähnlichen System auf den Plantagen mit einem Hungerlohn wieder, von dem sie auch noch ihr tägliches Brot und Miete für die Unterbringung in elenden Quartieren bezahlen müssen. »Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Ernte für diese Konzerne einbringen, sind nicht in Ketten gelegt wie früher. Aber andere Methoden werden angewandt, um sie in Gefangenschaft zu halten«, wird der Rechtsanwalt Márcio Propheta Sormani Bortolucci in der 2015 von der Christlichen Initiative Romero (CIR) und der Gewerkschaft ver.di herausgegebenen Dokumentation »Ausgepresst: Hinter den Kulissen der Orangensaftproduktion« zitiert. Die weiblichen Beschäftigten hätten besonders zu leiden: »Neben der ökonomischen Schlechterstellung und Diskriminierung sind Frauen Opfer ständiger psychischer, physischer Gewalt und auch sexueller Übergriffe.«
Ebenso besorgniserregend ist der hohe Einsatz von Pestiziden. Insgesamt 26 verschiedene Giftstoffe sind in Brasilien im Orangenanbau erlaubt. Viele davon sind toxisch für Vögel, Fische und Bienen und möglicherweise krebserregend. Selbst das in der EU verbotene Herbizid Paraquat wird über die Saftplantagen São Paulos gesprüht. Die Gifte dringen in Böden und Gewässer ein, schädigen Tier und Mensch. "Pestizidrückstände wurden hier in der ganzen Region rund um die Plantagen in der Muttermilch nachgewiesen", berichtet Abel Barreto, Direktor der Landarbeitergewerkschaft von Duartina (siehe Dossier »Ausgepresst«). Wie die CIR bei Recherchen vor Ort feststellte, werden die Chemikalien sogar ausgebracht, während die Arbeiterinnen und Arbeiter die Orangen ernten. Vor allem in den Zulieferbetrieben sei der Umgang mit den Pestiziden zu beanstanden.
Erbgutschädigende Gifte
In der Theorie sollten Pestizidrückstände nicht im Saftkonzentrat vorhanden sein bzw. nur in minimalen Spuren. Doch 2012 lehnte die US-Lebens- und Arzneimittelaufsichtsbehörde (FDA) fünf Schiffsladungen aus Brasilien mit je 15.000 bis 40.000 Tonnen ab, weil sie zu stark mit dem belastet waren. Das Präparat des Bayer-Konzerns kann Embryonen schädigen und genetische Schäden verursachen. Die US-Behörden wiesen den Importeur an, das belastete Konzentrat zu vernichten oder zurückzusenden.
Den illegalen Machenschaften des Saftkartells sind Brasiliens Justizbehörden seit 1999 auf der Spur. Die Firmen sprächen sich nicht nur untereinander ab, um Löhne und Preise der Zulieferer in Brasilien zu drücken, sagte der Staatsanwalt Ricardo Wagner Garcia aus São Paulo laut Medienberichten. Die Betrügereien gingen beim Export des Konzentrats weiter. Es werde unter Wert an Tochter- und Partnerunternehmen im Ausland verscherbelt, um so Exportsteuern zu "sparen". Cutrale verkaufe die Tonne Saft für 800 US-Dollar an Cutrale Nordamerika, so Wagner Garcia. Der Marktwert liege bei 2.600 US-Dollar. Dies führe dazu, dass der Großteil der Gewinne im Ausland anfalle, während Brasilien, obwohl Exportweltmeister, verarme.
Studie "Ausgepresst" online...
Dieser Beitrag in "Junge Welt" erstveröffentlicht.
Autor: Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
Weitere Artikel des Autors:
Brasiliens Aufforstung: Klimaschutz mit Monokultur
Die tote Bucht von Rio de Janeiro
Sarah Baker Foto: LLL/flickr CC
Wissenschaftler am Lawrence Livermore Forschungslabor haben nicht nur den Schlüssel gefunden, mit...
Foto: Pixabay CC/PublicDomain/Pexels
Superbowl: In der Nacht des Football-Endspiels der besten Teams verzehren die Zuschauer – im...
Foto: Pixabay CC/PublicDomain/Arek Socha
Neue, Idee für die Energiewende: Wissenschaftler der City University Hongkong entwickelten einen...
Foto: Pressenza (CC BY 4.0)
Die Organisationen IALANA, IPPNW und ICAN weisen anlässlich des Tages der Menschenrechte auf den...
Foto: ZDF / Martin Kaeswurm
Der amerikanische Finanzinvestor Blackrock verwaltet im Auftrag seiner Kunden über sechs Billionen...
Screenshot: gunther-moll.de
Eine lebenswerte Zukunft im Einklang mit der Natur ist auf diesem Planeten möglich, wenn wir uns...