In einer Kleinstadt im Nordwesten Argentiniens blockieren vor allem Frauen den Bau der weltgrößten Produktionsanlage für genmanipuliertes Saatgut.
Auch wenn es in diesem Bericht um eine der größten Schlachten in der jüngeren Geschichte Argentiniens geht: Das Städtchen Malvinas in Provinz Córdoba hat nichts mit den von den in Lateinamerika als Malvinas bezeichneten Falklandinseln im Südatlantik zu tun. Die Hauptakteure sind auch nicht Soldaten und verfeindete Staaten, sondern mehrheitlich Frauen auf der einen und der weltgrößte Saatgut- und Pestizidkonzern aus den USA auf der anderen Seite.
Seit Ende der 1990er Jahre, als die Regierung von Carlos Menem in Argentinien den Anbau von Gensoja erlaubte, ist ein Großteil der Landwirtschaft dort fest in Monsantos Hand. Quasi 100 Prozent der in Argentinien angebauten Sojabohnen sind Sorten aus den Genlabors des Weltkonzerns. Das gleiche gilt für Baumwolle und für Mais (95 Prozent). Rund 65 Prozent der gesamten Agrarfläche Argentiniens sind mit gentechnisch verändertem Soja bestellt: 20 Millionen von 31,5 Millionen Hektar. Der Siegeszug von Monsanto auf Kosten Hunderttausender Bauern ging lange ohne nennenswerten Widerstand vonstatten. Die Nebenwirkungen: Der Ruin zahlloser nachhaltig wirtschaftender Rinderzuchtbetriebe und großflächige Abholzungen in der Chaco-Region.
Umso mehr überrascht die bislang erfolgreiche Rebellion in Malvinas Argentinas. Sie begann, nachdem Präsidentin Cristina Kirchner im Juni 2012 von New York aus stolz den Bau einer gigantischen Monsanto-Fabrik ankündigt hatte. Auf 27 Hektar sollte ab 2014 Genmaissaatgut für Südamerika produziert und in 260 Silos gelagert werden. Der Agrobusinessriese versprach dem nur 12.000 Einwohner zählenden Städtchen vor den Toren der Provinzhauptstadt Córdoba Investitionen im Umfang von umgerechnet fast 200 Millionen Euro und nachhaltige Jobs. Von letzteren werden nach offiziellen Angaben jedoch gerade mal 215 entstehen. Die Bürger Córdobas könnten stolz sein, dass sie eine der wichtigsten Saatgutfabriken der Welt bekämen, hieß es aus der Konzernzentrale in St. Louis – was die Bewohner von Malvinas zunächst in Feierlaune versetzte.
Kampf für das Leben
Doch als die ersten Baufahrzeuge Monsantos anrückten, kamen die Sorgen. Was ist, wenn Monsanto nicht nur Jobs, sondern auch Gesundheits- und Umweltschäden bringt, fragten sich viele Anwohner. Der damalige Bürgermeister von Malvinas, Daniel Arzani von der Unión Cívica Radical (UCR), stand hingegen felsenfest hinter Monsanto. Gesundheitsschäden durch die geplante Fabrik seien nicht zu befürchten, denn sie würde ja nicht das Pestizid Roundup mit dem Wirkstoff Glyphosat produzieren, sondern lediglich Saatgut, erklärte er. (Laut Lucas Vaca von Malvinas Kampf fuer das Leben.)
Doch die Bürger ließen sich nicht beschwichtigen. Sie baten den Gentechnikexperten und Träger des Alternativen Nobelpreises Raul Montenegro von der Univerisität Córdobas um Unterstützung und gründeten wenig später die Asamblea Malvinas en Lucha por la Vida (Bürgervereinigung Malvinas im Kampf für das Leben) führte.
Eingeschlossen von Soja-Feldern, sei Malvinas längst eine mit Pestiziden kontaminierte Stadt, beklagte Vanessa Satoris, eine der Frauen, die dem US-Konzern hartnäckig die Stirn bieten. Wir sind bereits krank. Monsanto nun so nah an unsere Häuser zu bringen, würde uns letztlich umbringen, sagte die 28jährige im März im Interview mit dem Fernsehsender Telesur; Die Hälfte der Einwohner unserer Stadt sind Jugendliche unter 18 Jahren, und gerade die Kinder leiden unter den fürchterlichen Gesundheitsfolgen der Sprühnebel. Diejenigen, die in der Näher der Feldern wohnen, seien am stärksten von Leukämie, Asthma und Allergien betroffen.
Tatsächlich sind die negativen Folgen des großflächigen Versprühens des Totalherbizids von Monsanto in Argentinien und vor allem in der Provinz Córdoba längst kein Geheimnis mehr. Rund 30 Prozent der Sojabohnen des Landes werden hier produziert. Und nur etwa 20 Kilometer von Malvinas entfernt kämpfen die Mütter von Ituzaingó seit mehr als zehn Jahren gegen die Sprühnebel der Gensojafarmer, die ihren Töchtern Vergiftungen, Krebs, Fehlgeburten und Kinder mit schweren Behinderungen, in einigen Fällen auch den Tod brachten.
Mütter gegen Konzernmacht
Der Widerstand in Ituzaingó, der sich auch gegen Monsanto richtet, begann 2001 mit Protesten von Sofía Gatica, die selbst unter den Folgen des massiven Pestizideinsatzes litt. Die teilweise nur 50 Meter von den Häusern der Stadt entfernten Sojafelder wurden regelmäßig, jahraus jahrein per Flugzeug mit Pflanzenschutzmitteln, vor allem mit Roundup besprüht. Immer mehr Kinder kamen in Ituzaingó mit Missbildungen zur Welt, erzählt Gatica in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Säuglinge mit sechs Fingern oder ohne Kieferknochen oder ohne After, während die Eltern an Krebs erkrankten. Sofías eigenes, ihr viertes Kind starb drei Tage nach der Geburt an Nierenversagen. Blutuntersuchungen zeigten, dass 80 Prozent der Kinder von Ituzaingó Pestizidrückstände im Körper haben.
Monsanto wiegelt seit Jahren konsequent ab und sieht keine Verbindung zwischen seinem Totalherbizid und den missgebildeten Kindern von Ituzaingó oder andernorts. Es gebe keine nachweisbaren beiläufigen Zusammenhänge, hieß es etwa von Seiten eines Konzernsprechers. Dennoch erreichten Sofía und ihre Mitstreiterinnen, dass die Sojafarmer in Córdoba nun gesetzlich verpflichtet sind, Mindestabstände zu den Wohngebieten einzuhalten: 500 Meter bei Bodenspritzung bzw. 1.500 Meter bei Pestizidausbringung per Flugzeug.
Die Mütter von Ituzaingó unterstützen die Vereinigung Malvinas im Kampf für das Leben, die ein Referendum über die Monsanto-Fabrik fordert. Nach vielen Protestmärschen und Demonstrationen in Malvinas und in der Provinzhauptstadt organisierte die Bürgerinitiative am 18. September 2013 ein großes Musikfestival vor der Baustelle unter dem Motto Frühling ohne Monsanto. Aktivisten und Unterstützer aus dem ganzen Land und aus den Nachbarstaaten reisten an.
Blockade als letztes Mittel
Während des Festivals sei entschieden worden, ein permanentes Protestcamp zu errichten, bis Monsanto sich endgültig aus Malvinas zurückzieht, sagte Vanessa Satoris in dem erwähnten Interview. Zuvor habe man alle friedlichen und nichtkonfrontativen Mittel wie Unterschriftenlisten und Protestmärsche ausprobiert. Dennoch seien Monsantos Bagger und Baufahrzeuge weiter gerollt und hätten Fakten geschaffen. Eine Blockade schien die einzige Lösung, um die Bauarbeiten zum Erliegen zu bringen.
In den folgenden Monaten hielt das mehrheitlich von Frauen getragene Camp nicht nur den Wutausbrüchen der Monsanto-Arbeiter, sondern auch Polizeiknüppeln, Gummigeschossen und Schlägertrupps stand. Dabei habe der Konzern wirklich alle Mittel eingesetzt, erinnert sich Celina Molina. So hätten zum Beispiel Ehefrauen der Baustellenarbeiter gegen das Camp demonstriert und Parolen wie Sie wollen unsere Männer nicht arbeiten lassen und Monsanto ernährt uns skandiert und seien auch vor Gewalt gegen die Aktivistinnen nicht zurückgeschreckt. Vier der jungen Frauen griffen mich selbst an und warfen mich zu Boden, berichtete Celina dem webmagazin Ecos Cordoba. Das schlimmste sei, dass das System es immer wieder schaffe, die Menschen gegeneinander auszuspielen, Arme gegen Arme aufzubringen, kommentierte Anti-Monsanto-Aktivistin Esther Quispe.
Doch der Protest hat sich gelohnt: Im Januar 2014 verfügte das Gericht in Córdoba einen vorübergehenden Baustopp bis zur Vorlage einer gültigen Umweltverträglichkeitsprüfung. Diese könnte noch in diesem Jahr abgeschlossen sein. Und bei der Wahl des Stadtparlaments von Malvinas im Juni gewann die neu gegründete Partei der Monsanto-Gegner (Malvinas Despierta) aus dem Stand 34 Prozent der Stimmen und wurde damit zweitstärkste Kraft, während die Monsanto-freundliche UCR des Bürgermeisters mehr als die Hälfte der Stimmen und damit ihre absolute Mehrheit verlor.
Celina Molina erklärte zu den nächsten Zielen der Bewegung, es gehe zunächst darum, das Referendum über die Fabrik durchzusetzen. Das Protestcamp werde deshalb stehenbleiben. Ich möchte eines klarmachen: Diese Schlacht muss gewonnen werden und Monsanto wird nicht in Malvinas bleiben.
Autor: Norbert Suchanek
Der Text ist zuerst in der "Jungen Welt" erschienen.
Weitere Veröffentlichungen vom Autor zum Thema "Soja":
Sarah Baker Foto: LLL/flickr CC
Wissenschaftler am Lawrence Livermore Forschungslabor haben nicht nur den Schlüssel gefunden, mit...
Foto: Pixabay CC/PublicDomain/Pexels
Superbowl: In der Nacht des Football-Endspiels der besten Teams verzehren die Zuschauer – im...
Foto: Pixabay CC/PublicDomain/Arek Socha
Neue, Idee für die Energiewende: Wissenschaftler der City University Hongkong entwickelten einen...
Foto: Pressenza (CC BY 4.0)
Die Organisationen IALANA, IPPNW und ICAN weisen anlässlich des Tages der Menschenrechte auf den...
Foto: ZDF / Martin Kaeswurm
Der amerikanische Finanzinvestor Blackrock verwaltet im Auftrag seiner Kunden über sechs Billionen...
Screenshot: gunther-moll.de
Eine lebenswerte Zukunft im Einklang mit der Natur ist auf diesem Planeten möglich, wenn wir uns...