E-Mobility: "Europa muss den Markt besetzen"
Der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič traf bei der The smarter E Europe 2018 im Rahmen der Intersolar in München Unternehmer und präsentierte ihnen die Initiative der Gemeinschaft zur Förderung der Energieeffizienz und neue Klimaschutzziele. Am Rande sprach global°Chefredakteur Gerd Pfitzenmaier mit dem slowakischen Europapolitiker.
- Maroš Šefčovič Foto: Wikimedia 3.0/Katarzyna Czerwińska
Herr Vizepräsident Maroš Šefčovič, wie begegnen Sie der Kritik deutscher Umweltschützer, dass ein 40-Prozent Energieeffizienzziel nötig sei, um die Klimaziele des Pariser Klimaschutzvertrags wahr werden zu lassen? Sie reden aber von nur 32,5 Prozent.
Maroš Šefčovič: Das neue Energie-Effizienzziel der EU von 32,5 Prozent bis 2030 ist Verhandlungsergebnis der Mitgliedsstaaten mit dem EU-Parlament. Niemand sollte vergessen, dass Verbesserungen nach 2023 ebenfalls Bestandteil der Vereinbarung sind. Wir begrüßen sogar, wenn die Mitgliedsstaaten über 32,5 Prozent hinausgehen.
Also ist die Kritik berechtigt?
Diese Vereinbarung ist ein bedeutender Beitrag auf dem Weg zu einem belastbarem und dauerhaften Regelwerk, auf das sich die Mitgliedsstaaten, die Wirtschaft und andere Interessenvertreter verlassen können. Sie können ihre Politik und Planungen daran auszurichten. Nun erwarten wir bis zum Ende des Jahres die Vorschläge der Mitgliedsstaaten, um danach erste Entscheidungen zu den Themen Klimaschutz und Energieeinsparungen bei der kommenden Auflage des EU-Energiereports Anfang des kommenden Jahres vorzulegen.
Mit welchem Ziel?
Bisher haben wir die Hälfte dieser Vorschläge eingearbeitet. Wenn alle Mitgliedsstaaten ihre geliefert haben, werden wir gemeinsam eine Minderung der CO2-Emissionen von 45 Prozent erzielen.
Reicht das nach Ihrer Meinung aus, um den Klimawandel zu bremsen?
Sie sollten dabei nie vergessen, dass dieses Bestreben vor allem die Energie-Autarkie der EU stärkt und die erneuerbaren Energien der Union bis 2030 dann 58 Milliarden Euro sparen, weil wir keine fossilen Rohstoffe mehr einführen müssen. Jedes Prozent Effizienzsteigerung bedeutet, dass unsere Gas-Importe um 2,6 Prozent sinken können.
Lassen Sie uns darüber sprechen, ob und wie die aktuellen Flüchtlings- und Populismus-Debatten in vielen Mitgliedsstaaten - inkl Deutschland - die Klima- sowie Energiefragen aus dem Fokus drängen und wie die Kommission gegensteuern kann und will, um diese wichtigen Zukunftsfragen im Bewusstsein der Bürger zu festigen?
Ich glaube nicht, dass eins das andere ausschließt und die Menschen nur eines der Probleme gelöst sehen wollen. Es geht nicht um entweder oder.
Sondern?
Es geht um die Energierechnungen aller Menschen, um unser aller Gesundheit und um unsere Jobs - heute wie morgen.
Um auf EU-Ebene Populismus entgegenzutreten, müssen wir greifbare Ergebnisse vorweisen. Ich sage dazu immer: "Wir brauchen ein Europa, das allen den Rücken stärkt." Ich persönlich halte ebenso viel von Europas strategischer Technologie-Führerschaft wie von einem smarten und grünen Europa, das sich um Kommunen und Wirtschaft kümmert. Deshalb gilt: Was wir dafür heute - und nicht erst morgen - leisten, wird bestimmen, welchen Platz wir auf der geopolitischen Landkarte einnehmen - ob Europäer Vorkämpfer, nur Mitläufer oder Nachzügler der bei der 4. industriellen Revolution sein werden.
Das heißt?
Ich denke, wir sollten jeden Winkel des Kontinents und alle Europäer dazu befähigen, das EU-Projekt als stabil, sicher und als Gemeinschaftsaufgabe zu erleben.
Wird der Ausbau der Powerspeicher aber nicht zu erwartbaren Engpässen am sensiblen Rohstoffmarkt führen und werden wir dadurch nicht "sehenden Auges" ein neues Umweltproblem produzieren?
Ich bin überzeugt, dass der Ausbau der Stromspeicherkapazitäten nachhaltig und gemäß der ökonomischen und ökologischen Vorgaben vonstatten geht. Deshalb unterstützen wir Akteure aus der Industrie, die das Design bereitstellen und bauen, das die maximale Ressourcen-Effizienz sowie die Wiederverwertung sichert. Wo wir neue Materialien brauchen, werden wir darauf achten, dass diese bei der Gewinnung und Verarbeitung nachhaltig aufbereitet werden - wie wir dies etwa bei Lithium, Nickel, Graphit, Kobalt oder den Seltenen Erden machen.
Den Zugang zu solchen Rohstoffen hat bereits die EU Battery Alliance beachtet. Setene Erden etwa sind ein wichtiger Rohstoff für den Ausbau der Elektromobility...
Ist das nicht die Achillesferse dieser neuen Technologien?
Leider gibt es nur einige davon innerhalb der EU-Mitgliedsländer. Das zwingt uns - unabhängig vom nachhaltigen Ausschöpfen dieser Rohstoffquellen, die Versorgung mit diesen Elementen etwa durch Recycling zu sichern.
Das ist eine Chance für die EU: Hier kann sie sich beweisen und anderen Staaten vorangehen. Das wird die Gemeinschaft unabhängiger machen von den Märkten Dritter - deshalb ist Forschung nach und Förderung von alternativen Materialien ein Muss für uns Europäer.
- M. Sefcovic in München Foto: G. Pfitzenmaier
Welche Rolle spielt dabei die auseinander trifftende europäische Einheit (Stichwort: Brexit) und vor allem die Weltwirtschaft mit ihren immer mehr Strafzöllen?
Die EU ist ein Verfechter und Verteidiger eines an Regeln gebundenen, internationalen Handels, in dessen Zentrum die Welthandelsorganisation (WTO) steht. Wie Sie wissen, arbeiten wir eng mit gleichgesinnten Partnern, um die WTO zu deformieren und unfaire Bedingungen zu beheben - etwa beim Abbau von Subventionen, dem Schutz geistigen Eiggentums und des Technologietransfers.
Im Bereich der Solarindustrie sollten wir daraus lernen, was uns der PV-Sektor lehrte. Dort investierte die EU-Industrie viel in Forschung und Entwicklung, aber sie vernachlässigte die Produktion. Als Ergebnis sind wir heute vom chinesischen Markt abhängig. Deshalb unterstreiche ich es hier noch einmal: In diesen Schlüsseltechnologien müssen wir Europas Vorherrschaft stärken.
Sie sehen also schon den Konkurrenzkampf stärker werden?
Dieser Ansatz treibt auch die European Battery Alliance und unsere Haltung zu Batterien. Er ist entscheidend für die künftige Marktentwicklung und Einbindung der Erneuerbaren Energien sowie für die Wertschöpfungskette in der E-Mobility. Wir müssen diesen Markt mit einem Jahresvolumen von 250 Milliarden Euro allein in Europa besetzen.
Wie können Sie das absichern?
Wir brauchen hier in der EU Produktionsstätten für innovative Batterien.
Neue Berichte aus China zeigen, dass das Land dort im vergangenen Jahr sieben Mal soviel investierte als Europa.
Welche Konsequenz hat das für Europa?
Wir sollten sicherstellen, dass die besten, saubersten und wettbewerbfähigsten Autos künftig in Europa gebaut werden. Davon hängt unsere wirtschaftliche Zukunft ab.
Ist nicht der massive Ausbau der Wirtschaft (wie die Kommission dies im Bereich der Energie nun anstrebt) stets auch mit ökologischen Problemen verbunden und wie wird Europa dies zu vermeiden wissen?
Augenblicklich liefert die EU das genaue Gegenbeispiel: Wir entkoppeln erfolgreich unsere Wirtschaftsleistung vom Treibhausgas-Ausstoß. Von 1990 bis 2015 steigerte die EU ihr Sozialprodukt um fast 60 Prozent und senkte zugleich die CO2-Emissionen um 22 Prozent. Natürlich sollte das bei einer boomenden Wirtschaft schneller gehen. Wir haben aber ambitionierte Reduktionsziele für die Zeit von 2020 bis 2030 gesetzlich verankert. Zugleich aben wir uns auf ein Verfahren verständigt, wie wir diesen Einsparprozess überwachen und wie wir Abweichungen korrigieren. So können wir negative Umwelt- und Klimaentwicklungen durch unsere ehrgeizigen Wirtschaftsziele in der Union gemeinsam vermeiden.
Reicht das für den Klimaschutz aber tatsächlich aus?
Steigennder Stromverbrauch muss nicht notwendigerweise mehr Kohlendioxidausstoß bedeuten. Zum Beispiel fördern wir als European Batteries Alliance einerseits nachhaltige Batterieproduktion - auch durch erneuerbare Energie. Andererseits unterstützen wir zugleich jene Regionen, die ihre fossilen Energieträger ablösen wollen.
Und wie kann die EU garantieren, dass die Entwicklung innerhalb der Gemeinschaft durch den massiven Ausbau der Zukunftstechnologie clean energy nicht immer weiter auseinander bricht, sondern auch die schwächeren Länder Teil unserer Solidargemeinschaft bleiben?
In der Energy Union achten wir sehr auf solidarisches Verhalten bei unserer beispiellosen Modernisierung...
Das heißt?
Ich betone immer wieder, dass eine Gesellschaft nicht nur an ihren Erfolgen gemessen wird - seien sie wissenschaftlich oder unternehmerisch. Ich schätze es, wenn Europa für Innovation - auch im Energiebereich - steht. Aber eine Gesellschaft muss sich auch um ihre Schwächeren kümmern.
Ich denke, am besten zeigen wir unser Können zur Enwergiewende durch die Zusammenarbeit mit Initiativen wie der Platform for carbon intensive regions in transition, bei der wir Hand in Hand mit einigen Mitgliedsstaaten moderne und maßgeschneiderte Ansätze zur Veränderung heutiger Kohleregionen erarbeiteten.
Oder schauen Sie die Smart Finance for Smart Buildings Initiative oder auch die Energy Poverty Observatory an: Energiearmut ist ein sichtbares Zeichen in Europa. Sie grenzt sozial aus, macht Betroffene krank oder behindert die Zusammenarbeit selbst zwischen Staaten. Zwei von drei unserer Mitgliedsstaaten haben jedoch kein System oder messen Energiearmut gar nicht erst einmal. Energy Poverty Observatory wird das ändern und erstmals überhaupt dazu Daten erheben und auswerten. Dann können Regierungen, Kommunen, Unternehmer oder die Zivilgesellschaft dafür Lösungen erarbeiten.
Mit welchem Ziel?
Für mich ist lebenslanges Lernen aller Menschen - speziell im Bereich Finanzen und Digitales - Vorausseetzung, um die Herausforderungen des modernen Wandels zu meistern.