Gast-Kommentar: Die Glyphosatkontroverse

Die Erstveröffentlichung des Textes fand in der "junge Welt Ausgabe 02.01.2018" statt.

Am 27. November 2017 beschloss ein Berufungskomitee der EU, den Herbizidwirkstoff Glyphosat für weitere fünf Jahre zu genehmigen. Neun Mitgliedsstaaten stimmten dagegen, darunter Frankreich, Italien und Österreich. Portugal enthielt sich der Stimme.

Foto: hpgruesen / Pixabay CC0

Noch am selben Tag kündigte Präsident Emmanuel Macron an, dass Frankreich die Verwendung des Pflanzengiftes innerhalb von drei Jahren auslaufen lassen will – ein Zugeständnis an seinen in der Bevölkerung sehr populären Umweltminister Nicolas Hulot, der sonst eventuell sein Amt niedergelegt hätte. In Deutschland gab es statt dessen eine »Dolchstoßlegende«: Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) war gegen eine Wiedergenehmigung, Agrarminister Christian Schmidt (CSU) dafür. In dieser Situation wäre entsprechend der Geschäftsordnung der Bundesregierung eine Stimmenthaltung Deutschlands notwendig gewesen. Doch Schmidt kommunizierte im Alleingang die Zustimmung Deutschlands und ermöglichte so die Beschlussfähigkeit des Berufungskomitees.

 

Ohne Mandat entschieden

 

Die Aufregung darüber war groß. Für die Entscheidung auf EU-Ebene war das Vorpreschen des Ministers jedoch völlig unbedeutend – das wusste auch er. Hätte es im Berufungskomitee ein Patt gegeben, wäre die Entscheidungsgewalt an die EU-Kommission übergegangen. Diese hätte gewiss nicht gegen ihren eigenen Vorschlag entschieden. Über die Gründe für Schmidts Alleingang kann nur spekuliert werden. Vielleicht waren es taktische Überlegungen mit Blick auf die bayerische Landtagswahl 2018 – ein Signal für die konventionellen Landwirte des Freistaats. Falls der CSU-Politiker 2018 aus der Politik verschwinden und später als Berater des Bayer-Konzerns (dann vermutlich Bayer-Monsanto) wiederauftauchen würde, wäre auch das eine Erklärung.

Im Rückblick war die Wiedergenehmigung des Totalherbizids aus fachlich-rechtlicher Sicht eine Niederlage. Durch das Ignorieren der vorliegenden wissenschaftlichen Beweise und die Verdrehung von Tatsachen wurde das in der EU geltende Vermarktungsverbot für Pestizidwirkstoffe, die »wahrscheinlich krebserregend beim Menschen« sind, umschifft.

Politisch betrachtet, war die Wiedergenehmigung ein Teilerfolg: Ursprünglich sollte die Glyphosatzulassung für 15 Jahre verlängert werden. Der Frühjahr 2016 entstandene politische Druck führte zunächst dazu, dass die Entscheidung auf den Herbst 2017 verschoben wurde. Man wollte die anstehende Bewertung des Wirkstoffs durch die Europäische Chemikalienagentur abwarten. Im Ergebnis blieb diese unverändert fehlerhaft, und das Genehmigungsverfahren ging in eine neue Runde.

 

EBI-Widerstand zwecklos?

 

Parallel zu all diesem Geschehen wurde am 25. Januar 2017 eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gestartet, die nicht nur ein Glyphosatverbot forderte, sondern auch eine generelle Reform des Genehmigungsverfahrens für Pestizidwirkstoffe. Sie erwies sich als die schnellste Bürgerinitiative im Rahmen des EU-Verfahrens direkter Demokratie, das seit dem 1. April 2012 existiert. Nach weniger als sechs Monaten wurden der Europäischen Kommission die Unterschriften zur Prüfung übergeben. Von den 1,07 Millionen gültigen Signaturen kam mehr als die Hälfte aus Deutschland.

Europäische Bürgerinitiativen sind ein offizieller, aber zahnloser Prozess der Bürgerbeteiligung. Als Bezugspunkt, um mediale Aufmerksamkeit zu erlangen und so den politischen Druck zu verstärken, ist eine solche Aktion jedoch allemal gut. Von den bisher abgeschlossenen Initiativen dieser Art waren jedoch nur vier erfolgreich, während 14 von den Organisatoren vorzeitig abgebrochen wurden und 22 weitere die Kriterien nicht erfüllten. Das Minimum von einer Million gültigen Unterschriften (mit einer definierten Zahl von Mindestunterschriften in zehn EU-Mitgliedsstaaten), die innerhalb eines Jahres gesammelt sein müssen, ist eine hohe Hürde. Zu deren Überwindung ist ein beachtlicher organisatorischer Aufwand erforderlich und damit verbunden ein solides finanzielles Polster. Im Fall von Glyphosat waren das laut offizieller Website 328.399 Euro.

Die erwähnte Zahnlosigkeit dieser Form der Bürgerbeteiligung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die einzige formale Verpflichtung, die aus einem erfolgreichen Plebiszit erwächst, darin besteht, dass die EU-Kommission eine Stellungnahme abgeben muss, die so oder so ausfallen kann.

Im vorliegenden Fall verweist die Kommission in ihrer Stellungnahme darauf, dass ihr bezüglich eines Glyphosatverbots die Hände gebunden seien, weil die Expertengremien herausgefunden hätten, dass der Wirkstoff nicht krebserregend sei. Außerdem wurden aufgrund »der öffentlich erhobenen Vorwürfe und Bedenken in bezug auf die Qualität und Robustheit der EU-Bewertung« die zuständigen Behörden ersucht, diesen Vorwürfen nachzugehen. »In allen Fällen gelangten diese Stellen zu dem Ergebnis, dass die Bedenken und Vorwürfe unbegründet waren«, hieß es aus Brüssel.

 

EU-Selbstkontrolle

 

Im Volksmund nennt man eine solche Selbstuntersuchung, bei der die Behörden feststellen, dass alle gegen sie erhobenen Vorwürfe und Bedenken unbegründet sind, »den Bock zum Gärtner machen«. Zugleich konnte laut EU-Kommission auch nicht nachgewiesen werden, »dass sich der Zustand von Ökosystemen durch den Einsatz von Glyphosat verschlechtert hat, wenn es gemäß den Bedingungen für die Genehmigung und im Einklang mit der guten landwirtschaftlichen Praxis verwendet wird«. Der Rückgang bei Insekten, denen aufgrund der drastischen Verarmung an pflanzlicher Vielfalt in Europas Agrarlandschaften die Nahrung fehlt (jeweils Schwund auf zehn bis 20 Prozent des Wertes von vor etwa 25 Jahren), scheint, wenn man der EU-Kommission folgt, andere Ursachen zu haben. Angesichts der mehr als 5.000 Tonnen ausgebrachten Glyphosats in Deutschland (zwölf Prozent der Menge an Pestiziden bei etwa 225 zugelassenen Wirkstoffen) darf das bezweifelt werden. Oder ist das ein Eingeständnis, dass Glyphosat massenhaft nicht im Einklang mit der »guten landwirtschaftlichen Praxis« angewendet wird? Zu einer weiteren Forderung der Bürgerinitiative – nach mehr Transparenz bei der Bewertung und Entscheidungsfindung – will die Kommission im Mai 2018 einen Gesetzesvorschlag vorlegen.

Das Entscheidungsgremium für die EU-weite Genehmigung von Pestizidwirkstoffen einschließlich des Glyphosats ist das sogenannte Standing Committee for Plants, Animals, Food and Feed (PAFF Committee), in dem die Stimmgewichte der 28 EU-Länder entsprechend ihrer Bevölkerungszahl zum Tragen kommen. Dementsprechend muss für die PAFF-Committee-Entscheidungen eine »qualifizierte Mehrheit« erreicht werden. Das wiederholte Abstimmungspatt bei Glyphosat, so muss ehrlicherweise gesagt werden, ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass eine Reihe Länder den Stoff lieber verbieten wollte. Es gab auch Länder, die ihr Ja verweigerten, weil sie eine erneute Genehmigung des unter Krebsverdacht stehenden Wirkstoffs für zehn oder 15 Jahre forderten.

Sicher haben viele Faktoren zur Begrenzung der erneuten Genehmigung auf fünf Jahre beigetragen. Neben der Europäischen Bürgerinitiative waren es auch die »Monsanto Papers«, interne Dokumente des Unternehmens, die im Zuge eines durch Krebsopfer in den USA geführten Gerichtsprozesses öffentlich geworden waren, und die eine Einflussnahme auf den Genehmigungsprozess in der EU in den Bereich des Möglichen rücken. Dies führte unter anderem zu einer Anhörung im Umweltausschuss des EU-Parlaments, bei der die Behördenvertreter nicht die beste Figur machten. Nicht nur deswegen ist eine Genehmigung egal um wie viele Jahre schlicht und ergreifend eine Genehmigung zuviel.

Autor: Peter Clausing

 

Dr. Peter Clausing studierte Landwirtschaft in Leipzig, ist Toxikologe und Vorstandsmitglied im »Pestizid-Aktions-Netzwerk Germany« (pan-germany.org), arbeitet als freier Journalist, Buchautor bzw. Übersetzer. Er schreibt zu Ereignissen in Mexiko sowie zu den Themen Welternährung und Biodiversität.

 


10.07.2017 - ZDF WISO: Erhöhte Tumorraten durch Glyphosat - Im Interview Peter Clausing

Archiv