Sozial? Banal. Fatal!

Ein Tagebau wird zugunsten regenerativer Energien geschlossen, hunderte Kumpel verlieren ihre Arbeit: Der Paradekonflikt zwischen Umwelt- und Soziallobby demonstriert scheinbar zweifelsfrei, dass ihre Interessen unvereinbar sind. Interner Zwist und Konkurrenz um Mittel zementieren den Graben zusätzlich. Doch Wälder und Moore degenerieren nicht spontan. Irgendwie hat das ja was mit Menschen zu tun.

Foto: Michiel van Balen/flickr (CC-BY 2.0)

Dass umgekehrt auch Gesundheit und Wohlbefinden unter fehlender Natur leiden, wird in Ballungsräumen spürbar. Weltweit gärtnern darum Freiwillige auf Brachflächen und Dächern. Sie schaffen das dringend benötigte urbane Grün und rücken dabei generationen- und kulturübergreifend zusammen, übernehmen Verantwortung, lernen. Aber warum fällt die Integration menschlicher Bedürfnisse in Umweltanliegen (und umgekehrt) so schwer? Welches Potenzial hat die Annäherung?

Cover: DNR

Der Deutsche Naturschutzring (DNR) führt die Willigen in einem „Netzwerk für eine intakte Lebenswelt“ zusammen, um sie zu stärken. Eine Broschüre stellt 22 Projekte, die auf die eine oder andere Art einen Fuß in beiden Welten haben, vor. Beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Natur- und Umweltbildung, die sogenannte bildungsferne Jugendliche an den Rap-4-Rainforest heranführt, um sie mit Vielfalt im Kopf zu versorgen. Gerade zurzeit kann das nicht schaden. Oder die Repaircafés, von denen ich gern mal eins in meiner Nähe hätte, weil in diesem Haushalt immer irgendetwas kaputt ist. Der Mädchengarten freilich wirft bei mir reflexhaft die Frage nach dem Jungsgarten auf - an therapiebedürftigen Großstadtrabauken wird es kaum fehlen. Seltsam wortkarg ist der DNR zum Stichwort Ernährung. Dabei ist Essen die Verbindung von Umwelt und Sozialem schlechthin und obendrein appetitlich vermittelbar. Alles in allem erhärtet sich beim Lesen der Anfangsverdacht, dass jeder Akteur auf einer Insel sitzt und sein eigenes Thema am wichtigsten findet. Das ist kein Wunder: das ökologisch-soziale Feld ist riesig, die Interessen sind divers und das Beschnuppern hat gerade erst begonnen.

 

Was sind die Ursachen?

Die Ursache für den Argwohn zwischen Umwelt- und Sozialvertretern liegt im Ungleichgewicht der Größenordnungen, in denen sich die Konflikte bewegen. Umweltpolitik bezieht sich in letzter Instanz auf die ganz großen, allumfassenden, die ultimaten Probleme, die sich erst in der Zukunft oder zumindest woanders auswirken. Kaum etwas fühlt sich abstrakter an, als der Klimawandel und weiter weg als die Polkappen, ist nur noch der Mars. Soziale Konflikte dagegen berühren die Lebensrealität jetzt und hier. Armut, Gewalt und Einsamkeit kann man sehen und spüren, das macht sie begreiflich. Aus dieser Ungleichheit resultiert eine spannungsgeladene Prioritätensetzung: Probleme die sich jetzt auswirken, müssen jetzt gelöst werden. Da aber die öffentliche Aufmerksamkeit eine limitierte Ressource ist, geraten dabei langfristige Konflikte immer wieder in den Hintergrund.

Rap 4 Rainforest: Trailer zum Projektfilm

„Ökonomie, Ökologie und Soziales müssen zusammen gedacht werden“, sagt Martin Speer, Botschafter der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Das ist nicht neu und bringt es doch auf den Punkt. Erstens: Umwelt und Soziales sind nicht gegenüberstehende Bereiche und auch nicht „Zwillinge“, wie es im DNR-Papier heißt, sondern ein und dieselbe Sache. Zweitens: Fahrt aufnehmen und aus der Ecke des vorbildlichen Ehrenamtes heraustreten wird die Vernetzung erst, wenn ganz selbstverständlich auch wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden.

 

Was kann helfen?

Hilfreich ist es, die unmittelbar drängenden Probleme als Schritte auf dem Weg zur Lösung der ultimaten Konflikte zu sehen. Die soziale und politische Umwelt des Menschen ist ein abhängiger Teil der Umwelt aus Naturräumen und Ressourcen. Die natürlichen Standortbedingungen entscheiden maßgeblich über den wirtschaftlichen und sozialen Zustand einer Gesellschaft. Nicht umsonst prosperiert das klimatisch gemäßigte Mitteleuropa mit seinen fruchtbaren Böden seit Jahrhunderten – und weniger begünstigte Regionen nicht. Der Blick auf solche globalen Zusammenhänge ist aber immer geprägt von der Lebenssituation des Einzelnen vor Ort. Gegen den Willen der Masse lässt sich weder der Klimawandel bremsen noch der Regenwald retten. Darum ist es so immens wichtig, proximate Existenznöte ernst zu nehmen und konsequent in Zusammenhang mit übergeordneten ökologischen Problemen zu bringen. Darin liegt der bedeutendste Bildungsauftrag unserer Zeit. Reflektierte, kleinräumige Initiativen, die fest geerdet sind im sozialen Umfeld der jeweiligen Zielgruppe eröffnen den Zugang zu komplexen Themen.

Stromsparcheck und Bio für Kinder scheinen banal angesichts der Vielschichtigkeit heutiger Probleme. In ihrer Gesamtheit vermögen solche Projekte aber ein Umdenken einzuleiten und den Diskurs auf die nächsthöhere Ebene zu tragen – zum Beispiel in die Wirtschaft hinein. Der wachsende Marktanteil ökosozialer Unternehmen zeigt, dass die Idee konkurrenzfähig ist. Offenbar hat die viel beschworene Zeitenwende begonnen: Im Kleinen, praktisch und unprätentiös. Und sie erteilt aufgeblasenem Nachhaltigkeitsgeschwurbel eine Absage.

Autorin: Stefanie Geiselhardt

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