Schattenjustiz und das Freihandelsabkommen
Es tagt in Washington hinter verschlossenen Türen, in einem Gebäude der Weltbank: Ein geheimnisvolles Gremium aus drei Richtern kann eine Regierung zu Strafen in Milliardenhöhe verurteilen, wenn ein Konzern seine Geschäfte bedroht sieht....
So beginnt ein ausführlicher, interessanter und brandaktueller Bericht der ZEIT über das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, kurz ICSID und dem Zusammenhang mit dem derzeit in der 4.Verhandlungsrunde befindlichen TTIP, dem Transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel entschied nach der Katastrophe von Fukushima, aus der Atomenergie auszusteigen – ein harter Rückschlag für die Betreiber der deutschen Kernkraftwerke. Selvyn Seidel lebt davon, sich einen Teil des verlorenen Geldes zu holen. Er ist zwischenzeitlich 71 Jahre alt und sein Geschäft läuft bestens. Seidel übernimmt die Anwalts- und Prozesskosten für Firmen, die Regierungen in teuren Gerichtsverfahren auf Schadensersatz verklagen. Hat die Klage Erfolg, kassiert Seidel bis zu 80% der eingeklagten Summe, oft mehrere Hundert Millionen Dollar.
Die meisten Klagen, die Seidel finanziert, finden nur an einem Ort statt, vor dem ICSID in Washington. Derzeit laufen 185 Verfahren vor dem ICSID. Eines davon ist ICSID-Case ARB/12/12: Vattenfall versus Federal Republic of Germany (über mehr als vier Milliarden Euro). Streitpunkt ist der deutsche Atomausstieg. Nach Fukushima musste der schwedische Energiekonzern die von ihm betriebenen Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel schließen, schreibt die ZEIT.
Die Schattenjustiz und ihre Folgen
Das ICSID und noch einige kleinere Gericht sind Schiedsgerichte. Die Richter sind weder Beamte noch Angestellte, sondern juristische Fachleute aus vielen verschiedenen Ländern. Sie werden jeweils von den Streitparteien bestimmt und tagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Gegen ein Urteil des ICSID kann der jeweilige Staat keine Rechtsmittel vor einer höheren Instanz einlegen, keine Berufung, keine Revision – nur zahlen!
Im Artikel heißt es: Grundlage dieser Gerichtsverfahren sind sogenannte Investitionsschutzabkommen zwischen den verschiedensten Staaten der Welt. Es gibt rund 3.000 solcher Abkommen, sie umspannen die Erde wie ein unsichtbares Netz aus Paragrafen. In diesen Verträgen verpflichten sich die Regierungen, die Urteilssprüche des Schiedsgerichts anzuerkennen.
Investitionsschutzabkommen/TTIP und was dann?
Und genau ein solches Investitionsschutzabkommen gibt es zwischen Europa und Amerika noch nicht und soll deshalb ein wichtiger Bestandteil des Freihandelsabkommens werden. Europäische Unternehmen sollen dann die USA und amerikanische Unternehmen die Staaten Europas vor einem Schiedsgericht verklagen können. Auf Grund der wachsenden Proteste, hat die EU-Kommission die Verhandlungen über den Investitionsschutz für drei Monate ausgesetzt.
Die Frage könnte also künftig lauten: Was kann sich Deutschland bzw. Europa noch erlauben, ohne verklagt zu werden. Umweltauflagen fallen dann zum Beispiel sicherlich nicht unter eine "faire und gerechte Behandlung" ausländischer Unternehmen. Wollen wir das? Wollen wir nur noch von Großkonzernen „regiert“ werden? Die versprochen „Wohltaten“ dieses Freihandelsabkommens, wenn es sie denn wirklich gäbe, könnten einen solchen Souveränitätsverlust niemals aufwiegen. (Quelle: ZEIT ONLINE)