Wer hat bei der Wahl die Wahl?

Niederschmetternde Nachricht vor der Bundestagswahl: Im Parlament landen oft nicht die, die’s am besten drauf haben- sondern die, die am besten ins Konzept passen.

Wer hat am 22. September die Qual der Wahl? Klar, das Volk- doch ohne Einschränkung? Scheinbar ja, denn wie viele Sitze SPD, CDU & Co erhalten, hängt bekanntlich davon ab, wie viele Stimmen sie auf sich vereinen. Doch welcher Mensch ergattert den Stuhl ganz konkret? Dank der personalisierten Verhältniswahl können wir hier zwar mit der Erststimme unseren Präferenzen Ausdruck verleihen- doch die Zweitstimme wählt eine Parteiliste als Ganzes. Und die Entscheidung darüber, wer auf dieser Liste (ganz oben) steht, liegt ganz woanders.

Logisch? Eigentlich schon- wie sollen wir auch aus der Ferne ein qualifiziertes Urteil darüber fällen, wer für den Job am besten geeignet ist? Doch jetzt kommt’s: Auch aus der Nähe spielt Qualität nur eine untergeordnete Rolle! Dr. Benjamin Höhne untersuchte in seiner Dissertation an der Universität Trier die Kandidatenauswahl aller sechs Bundestagsparteien und stellte fest: Quoten und innerparteiliche Macht sind für die „Vorwahlen“ wichtiger als die persönliche Eignung der potentiellen Parlamentarier.

 

Foto: Wikimedia commons/Ziko-C

Im Klartext: Eine gleichmäßige Aufteilung zwischen Männern und Frauen sowie Angehörigen bestimmter Regionen, Herkunft aus Ost oder West im Falle der Linkspartei- solche Fragen sind wichtiger als Fachwissen, Bundestagstauglichkeit oder Fähigkeiten im Wahlkampf. Oft seien die Ergebnisse der Vorwahlen auch an vielfältige Kompromisse geknüpft- denn wer sich unterrepräsentiert fühle, könne die gesamte Parteiliste zum Scheitern bringen, so Höhne.

 

Wahl oft gar nicht möglich

 

In seiner Arbeit stellt er ein eigenes Modell dafür vor, wie die Kompetenzen der Politiker besser zum Zug kommen könnten. „Das Prinzip der Delegierten, die die Auswahl vornehmen, sollte der Beteiligung von mehr Parteimitgliedern weichen“, erläutert er auf Anfrage von global°. Diese seien von Seiten der Parteielite schwerer zu steuern, was wiederum mehr Kandidaten dazu ermutigen könne, in den Ring zu steigen. „Derzeit ist eine Wahl oft gar nicht möglich, da es keine zwei Kontrahenten gibt. Das liegt wiederum daran, dass das Delegiertenprinzip die Chancen minimiert- der Ausgang der Wahl stünde oftmals schon vorher fest“, so Höhne.

Zudem seien die Parteien bei der Auswahl ihrer Vertreter nicht mutig genug, frei nach dem Motto: „Lieber einen, der treu und loyal zu uns steht und über die richtigen Netzwerke verfügt, als einen, der das Ansehen der Bevölkerung genießt.“ Um den Wählern mehr Macht zu verleihen, wären laut Höhne regionale Vorwahlen auf Volks- statt Parteiebene problemlos machbar.

Gerade Parteielitäre, die beruflich stark in die Politik eingebunden seien, täten sich jedoch schwer mit solchen „Revolutionen“. Das Argument, die Parteizusammengehörigkeit nicht gefährden zu wollen, hält Höhne indes für vorgeschoben. Den Obersten ginge es vielmehr darum, die eigene Machtposition und innerparteiliche Kontrolle nicht zu gefährden. Auch die Delegierten hätten, im Vergleich zu den „Aspiranten“ auf ein bestimmtes Amt, den Blick eher nach innen als nach außen gerichtet.

„Damit schneiden sich die Parteien aber im Grunde ins eigene Fleisch“, fügt der Politologe hinzu. Klar, wenn sie ihre größten Kompetenzen leichtfertig zum Fenster hinaus werfen. Quoten sind im Zuge der Gleichberechtigung durchaus verständlich- dennoch muss die Frage erlaubt sein: Kann es uns nicht im Grunde egal sein, ob wir von einem Mann oder einer Frau vertreten werden- solange er oder sie genau der/die Richtige dafür ist? Und sind unsere Parlamentarier nicht eigentlich als Volks- und nicht als Parteivertreter gedacht?

 

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