Kleinschmidt: "Weil es um die Menschen geht"

Kilian Kleinschmidt, Jahrgang 1962, wollte nach seinem Abi in die weite Welt, blieb aber zunächst als Ziegenkäsebauer und Dachdecker in den Pyrenäen hängen.

Cover: Econ Verlag

Ein Motorradtrip durch die Wüste brachte ihn 1988 dann nach Mali, wo er Entwicklungshelfer kennen lernte und seine neue Passion fand. Für die UNO und das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) war er von da an 25 Jahre an den Brennpunkten der Welt, ob im Sudan, im Kongo, in Somalia, in Pakistan oder in Sri Lanka im Einsatz, oft riskierte er für Flüchtlinge sein Leben. In seiner Autobiografie erzählt er von seinen Missionen und von seiner Besessenheit, Menschenleben zu retten und die Lage der Flüchtlinge zu verbessern. Zuletzt leitete er das weltweit zweitgrößte Flüchtlingslager Zaatari an der syrisch-jordanischen Grenze.

 

Beeindruckend sind die Schilderungen seiner Erlebnisse in den Krisengebieten und in der Gemeinschaft internationaler Hilfsorganisationen. Seinen Drang, die im gestellten Aufgaben im Sinne der betroffenen Menschen best möglich zu erfüllen und da wo notwendig auch nicht vorher abgestimmte Entscheidungen zu treffen, brachte ihm schnell den Ruf des „Feuerwehrmanns“ ein und so wurde er vorrangig dahin geschickt, wo sonst keiner hinwollte. Mit seinen Einschätzungen von den Möglichkeiten und Grenzen der humanitären Hilfe und politischer Entscheidungen bringt er den Leser sehr nahe an die Geschehnisse heran. Viele Zusammenhänge werden durch seine Erlebnisse viel klarer, als das etwa in den medialen Berichterstattungen rüberkommt.  

 

Kleinschmidt beschreibt, mit welchen logistischen und sicherheitstechnischen Problemen er zu kämpfen hatte. Er zeigt, dass Geld und Hilfsbereitschaft allzu oft an den Bedürfnissen der Flüchtlinge vorbeigehen. Und er legt offen, dass Helfer auch mit Kriminellen kooperieren müssen, teils aus humanitären Gründen, aber auch, um überhaupt Zugang zu den Flüchtlingen zu erhalten.

 

 

Flüchtlingslager Zaatari 2013 Foto: Foreign and Commonwealth Office / flickr (CC BY-ND 2.0)

Als er im März 2013 in Zaatari ankam, waren rund 110.000 Flüchtlinge dort untergebracht und es herrschte Krieg, Lagerkrieg, Gewalt gegen die Hilfsorganisationen und die Polizei. Obwohl der UNHCR es geschafft hatte, von Anfang an die Grundbedürfnisse zu befriedigen, wurde dennoch permanent demonstriert. Über den Dialog mit den Flüchtlingen fand der Autor mit der Zeit die Gründe für die Unzufriedenheit heraus – es ging in aller erster Linie um die Würde der Menschen. Sie wollten keine Almosen, sondern ihre Menschenwürde wieder zurück haben, für ihre Familien sorgen und ein Stück „Privatheit“ schaffen. Als Kleinschmidt Ende 2014 das Lager verließ, hatte er aus dem Lager eine Stadt erschaffen, in der es Supermärkte und heute etwa 3000 Händler mit einem Monatsumsatz von 15 Millionen Euro gibt. Zaatari ist heute eine der 5 größten Städte Jordaniens.

 

Aufgrund seiner Erfahrungen weiß Kilian Kleinschmidt, warum Milliarden Menschen auf der Flucht sind und dass sie unter den unwürdigsten Bedingungen leben müssen. Ihm ist klar, dass Menschen, die aufgrund von Armut, Ausbeutung und fehlenden Menschenrechten die Flucht ergreifen. Und dass die „Armen“ heute dank Globalisierung und moderner Kommunikation wissen, wie es bei den „Reichen“ aussieht.

 

In seinem Resümee schreibt er, dass die traditionelle humanitäre Hilfe ihre Grundaufgabe, Leben zu retten, nicht mehr für alle, die sie benötigen, erfüllen kann. Auch sei sie zu einem gigantischen Geschäft geworden. Amerikanische und europäische Charity-Organisationen kämpften nur noch um ihre Marktanteile. Manche Krisengebiet lassen besser, andere schlechter verkaufen. Der Mensch und seine Würde werde selten in den Mittelpunkt gestellt, stattdessen werde die Not als Ware verkauft. Weil das Hilfsbusiness heute nicht mehr funktioniert, sei es notwendig den Ansatz zu ändern.

 

Und der sieht für den Autor so aus:

 

„Die Kapazitäten in den Menschen selbst zu erkennen, zu fördern und zu nutzen. Diejenigen, die in Not sind, sollten nicht mehr als passive Opfer betrachtet werden, sondern als die, die etwas wollen und auch können. Wir müssen den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Es ist nebensächlich, ob er durch Krieg, Klimawechsel, ein Erdbeben oder aus anderen Gründen ungenügend Wasser, Ernährung, Unterkunft oder keine Arbeit hat. Da ist Kategorisierung der Menschen unsinnig! Es sind Menschen, die aus verschiedenen Gründen stark gemacht werden müssen – und es ist eigentlich erst einmal egal, wo und warum.“

 

 

Kleinschmidt hat sich nach Zaatari selbständig gemacht und die Organisation „Innovation and Planning Agency“ gegründet. Sie hat das Ziel, die ungenutzten Ressourcen und modernen Technologien des 21. Jahrhunderts für die Armen der Welt nutzbar zu machen. Fokus seiner Arbeit ist dabei Teambuilding und Leadership in Krisensituationen. Seit 2015 ist der erfahrene Krisenhelfer und Verhandlungsexperte Berater der österreichischen Regierung in Flüchtlingsfragen.

 

Für alle, die mehr über das Thema Flüchtlinge im 21. Jahrhundert wissen wollen, gehört dieses sehr empfehlenswerte Buch zur Pflichtlektüre.

 

Kilian Kleinschmidt

Weil es um die Menschen geht

Als Krisenhelfer an den Brennpunkten der Welt

Econ Verlag

ISBN-13 9783430201803

352 Seiten

19,99 €

 

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