Iwan im Wohnzimmer - Rückkehr der Paranoia

Sie ist wieder da: Die Angst vor den Horden aus dem Osten, die wutschnaubend nur auf den Befehl aus Moskau warten, um wie einst die Mongolen über Europa herzufallen. Die Frage ist, was könnten sie hier wollen?

Plündern, brandschatzen, vergewaltigen? Es entzieht sich meiner Vorstellungskraft, welchen Sinn solch eine Aktion hätte. Wozu also der ganze Aufmarsch an Russlands Grenzen?

Foto: Pixabay CC/PublicDomain

In Russland ist man nicht dumm. Man weiß, dass die NATO über Truppen verfügt. Es bedarf also keiner Militärschau.

Jakob Augstein zitiert in einer Kolumne auf SPIEGEL ONLINE den amtierenden Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa, General Ben Hodges: „Russland könnte die baltischen Staaten schneller erobern, als wir dort wären, um sie zu verteidigen.“

 

Ein Gedanke an die Apokalypse

 

Wenn dem so ist, wie General Hodges sagt, blieben ohnehin nicht mehr viele Optionen übrig, um die russische Armee von einem Überfall auf das Baltikum und den Rest von Europa abzuhalten. Einzig und allein wäre da die atomare Abschreckung – nur, die ist doch schon vorhanden!

Abgesehen von dem US-amerikanischen Arsenal verfügt Europa über ein eigenes, nämlich über die französischen und die britischen Atomsprengköpfe. Und ist es dabei nicht letztendlich egal, ob Europa über 400 oder 500 Sprengköpfe und Russland über 7000 verfügt? Die Apokalypse wäre in jedem Fall tödlich für alle.

 

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Es ist also vollkommen überflüssig, wenn ein Jaroslaw Kaczynski, der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, eine eigene europäische Atombombe fordert, und vielleicht gleich eine für Deutschland mit, als führendes Land in Europa.

 

Wladimir Putin im Bundestag

 

Wer erwartet, dass ich in vorauseilender Unterwürfigkeit schreibe, ich sei kein Putin-Versteher, nur um einer politischen Correctness zu huldigen, die in der Sache des Friedens nicht dümmer und deplatzierter sein könnte, der täuscht sich.

Ich bin mir durchaus bewusst, dass es in Russland sehr schwer, wenn nicht sogar lebensgefährlich für die Opposition ist, ihre Arbeit zu tun, dass es ebenso eine effektive russische Propaganda gibt, wie es sie seitens der NATO und ihrer Unterstützer hier gibt. Beide Seiten stehen sich in nichts nach.

Es ist allerdings sehr schnell in Vergessenheit geraten, und man kann es nicht oft genug in Erinnerung rufen, dass Deutschland die Wiedervereinigung zum größten Teil der Sowjetunion und somit auch Russland verdankt. Dass sie es waren, die ihr gesamtes Militär zurückzogen, während Länder wie Großbritannien und Frankreich gegenüber einer Vereinigung von BRD und DDR große Bedenken äußerten.

Es war auch Russland, dass sich dem Westen öffnete. Und es war Putin, der 2001 eine bemerkenswerte Rede im deutschen Bundestag hielt und mehr als deutlich die Hand ausstreckte für Zusammenarbeit und Partnerschaft:

 

Tatsächlich lebte die Welt im Laufe vieler Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts unter den Bedingungen der Konfrontation zweier Systeme, welche die ganze Menschheit mehrmals fast vernichtet hätte. Das war so furchterregend und wir haben uns so daran gewöhnt, in diesem Count-Down-System zu leben, dass wir die heutigen Veränderungen in der Welt immer noch nicht verstehen können, als ob wir nicht bemerken würden, dass die Welt nicht mehr in zwei feindliche Lager geteilt ist. Die Welt ist sehr viel komplizierter geworden.

 

Wortprotokoll der Rede Wladimir Putins im Deutschen Bundestag am 25. September 2001.

 

Im Westen dagegen hat man bis auf einige wenige Ausnahmen nie wirklich aufgehört in alten Mustern aus dem Kalten Krieg zu denken, obwohl die kommunistische Ideologie in Russland der Vergangenheit angehört.

Das jetzige Szenario hätte man sich ersparen können, hätte man sich nicht so sehr an Uncle Sam geklammert.

Nun steht man da, dämonisiert mal wieder ein Staatsoberhaupt und nimmt gleich mehrere Bevölkerungen in Sippenhaft. Denn wie man es in allen vergangenen und noch laufenden Konflikten sieht: Die grauenvolle Zeche bezahlt immer die Zivilbevölkerung.

 

Jairo Gomez

 

Der Beitrag ist Teil unserer Medien-Partnerschaft mit Presenza. Den Originalbeitrag lesen Sie hier.

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