Hochmut kommt vor dem Fall! Ein Kommentar zu Erdogan
Von oben bis unten durchnässt stehen sie am Odeonsplatz: über 2000 Münchner. „Türkiye Laikdir Laik Kalacak! (Türkei ist laizistisch und wird laizistisch bleiben). Hoch die Internationale Solidarität!“, rufen sie stundenlang, schwingen türkische Fahnen und tanzen. Ein emotionales Meer aus Zorn, Stolz und Hoffnung trotzt den sintflutartigen Regengüssen. Wie in Istanbul, Izmir, Ankara und Antalya kann Wasser die Menschen nicht mehr von den Straßen und Plätzen treiben. Lang genug haben sie es ertragen und erduldet – das despotische Regieren ihres Ministerpräsidenten Recep Tyyip Erdogan. Doch nun ist Schluss damit! Sie fordern das zurück, was ihnen gehört: ihre Rechte, ihre Freiheit und ihre Plätze.
Erdogan: In München schwebt er über den Köpfen der Demonstranten. Auf Plakaten ist sein Gesicht zu sehen – durchgestrichen und sehr zermatscht. Der Regen hat ihn aufgeweicht. In der Türkei schwebte Erdogan schon lange - über der Realität. Die holt ihn nun aber ein, mit Hilfe vieler türkischer Bürger. Noch klammert er sich eisern an die Füße seines selbstgebauten Thrones. Doch der „Mob“ unter ihm „pöbelt“ so laut, dass es auch in seinem Wolkenreich wackelt. Giftig und ga(r)stig donnert er von oben herab. Die Menschen lassen sich davon nicht mehr beeindrucken. Mit einfachen Taucherbrillen bewappnet blicken sie ihm mutig entgegen.
Einen Größenwahnsinnigen gilt es zu stoppen!
Vor zehn Jahren kam Erdogan an die Macht. Seitdem hat sich viel geändert in der Türkei. Zuvor war er Bürgermeister der Metropole Istanbul. Erstaunlich, denn diese einzigartige Stadt am Bosporus mit ihren vielen Kulturen, Künsten und Traditionen sowie ihrer langen Geschichte hätte ihn eines Besseren belehren müssen: Man kann ein Land, das eine demokratische und laizistische Ordnung pflegt nicht ins Mittelalter zurückbomben. Seine Bürger zu zwingen, ihre Gürtel und Kopftücher immer enger zu schnallen, war riskant. Mittels eines Turbokapitalismus das Wirtschaftswachstum so zu dopen, dass die Schere zwischen Arm und Reich im Land immer weiter auseinanderklafft, war mehr als fahrlässig. Aber sich im selben Atemzug ein korruptes Imperium aufzubauen, grenzt an Größenwahn.
Hochmut kommt vor dem Fall! Erdogan selbst will nicht einsehen, dass erstere Phase bereits ausläuft, diffamiert die Demonstranten und droht sogar mit Bürgerkrieg. Ein autoritärer Politiker, der das Leben seiner Bürger auf’s Spiel setzt, wird nicht mehr auf dem Boden der Tatsachen landen. Das sollte auch seinen Kollegen in Europa und den USA klar sein! Schelte und ein erhobener Zeigefinger aus dem Westen reichen nicht aus, einen Größenwahnsinnigen zu stoppen.
Die Hoffnung liegt weiterhin dort, wo sie geboren wurde: in den Herzen der Menschen. Die grünen Bäume des Gezi-Parks sind Auslöser und Symbol für ihre große Hoffnung: wieder Sommer in der Türkei! Der erdoganische Wolkenbruch verliert an Kraft. Die Türken wehren sich gegen seine diktatorischen „Ergüsse“. Erdogan, gestolpert und durchnässt, in seiner eigenen Sintflut davon treibend – ein wahrhaft erwärmender Gedanke!
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